17.12.2020

Interview mit Julia Seeliger

KLARA GRÜN – EIN ÖKOFAIRER REINIGUNGSDIENSTLEISTER IN BERLIN

Nachhaltigkeit: Ein Begriff, der im Zusammenhang mit Marken und Konzernen immer häufiger verwendet wird. Was aber bedeutet es konkret, ein Unternehmen nachhaltig zu leiten? Zu Beginn ihrer gemeinsamen Reise war Julia Seeliger und Luise Zaluski zwar bewusst, dass sie ein Gegenprogramm zur schnelllebigen Gründerszene bieten wollten – dass dabei jedoch das ökofaire Reinigungsunternehmen Klara Grün entstehen würde, überraschte sie am Ende selbst. Mittlerweile beschäftigt das Duo rund 35 Angestellte und macht ganz Berlin zu einem saubereren und nachhaltigeren Ort – auch die Berlin Decks gehören zu ihren Stammkunden. Wie das ökofaire Konzept von Klara Grün im Detail aussieht, was man auch als Chefin dauerhaft gegen zu viel Arbeitsstress tun kann und warum die beiden auf Zitronensäure schwören, verriet uns Julia im Interview.

 

Gemeinsam mit Luise Zaluski bist du Geschäftsführerin von Klara Grün. Was für ein Unternehmen steckt hinter diesem ungewöhnlichen Namen?

Julia Seeliger: Vor ungefähr drei Jahren gründeten wir den ökofairen Reinigungsdienstleister Klara Grün in Berlin. In einer Industrie, die weitestgehend als anonym wahrgenommen wird, wollten wir mit dem Unternehmen ein Gegenbeispiel bieten. Der weibliche Vorname steht für mehr Persönlichkeit in der Reinigungsbranche und ist zudem eine Referenz an das Wort “klar” – also Sauberkeit. Der Nachname “Grün” setzt den Bezug zum ökofairen Konzept, das auf zwei Säulen basiert: Uns geht es darum, sowohl mit den von uns angebotenen Dienstleistungen als auch unserem Unternehmen selbst konsequent ökologisch zu handeln. Das bedeutet, dass wir die Wasserwege nicht mit chemischen Reinigern vergiften und die Gesundheit unserer Mitarbeitenden gewährleisten wollen. Deshalb stellen wir unsere eigenen umweltneutralen Reinigungsmittel aus im Wesentlichen Zitronensäure, Natron und Soda her. Das sind Bestandteile, die allesamt unproblematisch für Grundwasser und Atemwege sind. Da wir weder ein Verein noch eine NGO, sondern ein wirtschaftliches Unternehmen sind, bevorzugen wir das Wort “fair” anstelle von “sozial.” Wir wollen nicht nur unsere eigenen Mitarbeitenden fair behandeln und bezahlen, sondern darüber hinaus erreichen, dass sich dieser Gedanke auf die gesamte Reinigungsbranche überträgt.

 

Warum gerade ein Reinigungsunternehmen in Berlin?

JS: Luise und ich haben uns in Milena Glimbovskis verpackungsfreiem Supermarkt Original Unverpackt kennengelernt. Ich komme eigentlich aus dem Bereich der digitalen Kommunikation und Markenberatung, Luise hat als Unternehmens- und Strategieberaterin gearbeitet. Wir beide sind bei Original Unverpackt gelandet, weil wir unsere damaligen Jobs nicht mehr ausüben wollten und uns das Thema Nachhaltigkeit gepackt hat. Uns war schnell klar, dass wir gemeinsam ein Unternehmen gründen wollten – dass es der Bereich Reinigung geworden ist, über den wir beide zu Beginn selbst nur wenig wussten, hat uns selbst überrascht und ist aus der eigenen Not heraus entstanden. Uns beiden fiel bei der Arbeit im Supermarkt auf, dass es zwar bereits viele Produkte gibt, die weniger nachhaltigere ersetzen, bisher aber nur wenige nachhaltige Dienstleistungen angeboten werden. Bei der Recherche nach einem Unternehmen, das ökologisch arbeitet und zudem gut mit seinen Angestellten umgeht, mussten wir feststellen, dass das besonders im Bereich der Reinigung nicht gegeben ist.

 

Wie habt ihr euch in dieses Berufsfeld eingefunden, das auf den ersten Blick doch sehr komplex erscheint?

JS: Wir haben mit unserem Konzept am Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg (BPW) teilgenommen. Zunächst nicht mit dem Plan, eine Firma zu gründen, sondern um unserer Idee und Fragestellung ganz konkret nachzugehen: Wie kann ein Reinigungsunternehmen komplett nachhaltig funktionieren? Als der Business- und Finanzplan stand, haben wir einen Bekannten gefragt, wie die nächsten Schritte aussehen könnten. Der hat uns dann ziemlich nüchtern empfohlen, rauszugehen und den Putzlappen selbst in die Hand zu nehmen. Also sind wir seinem Rat gefolgt, haben ein Einzelgewerbe angemeldet und dann beide angefangen, neben unseren eigentlichen Jobs bei bekannten Cafébesitzerinnen und Cafébesitzern und in den Wohnungen von Freundinnen und Freunden zu reinigen. Dabei ist aufgefallen, dass die Arbeit einiges an Planung und Struktur bedarf: Man braucht ein Gespür für die Räumlichkeiten und muss natürlich auch viel über Reinigung selbst wissen. Wie setzt sich beispielsweise ein guter Allzweckreiniger zusammen, der auf verschiedenen Oberflächen gut funktioniert? Neben dem Handwerk ging es in den ersten Monaten auch darum, die richtigen Produkte zu finden.

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Wie hat es sich angefühlt, auf einmal in einem Bereich zu arbeiten, der für die meisten Menschen als unsichtbar wahrgenommen wird?

JS: Wir alle kennen es, in einem Café zu sitzen und dort einen Kaffee zu trinken. Plötzlich aber diejenige zu sein, die morgens um 6:00 Uhr oder abends um 22:00 Uhr am gleichen Ort die Räume putzt, war ein krasser Perspektivwechsel. Eigentlich kann jede Person, die man trifft, etwas mit dem Bereich Reinigung oder Raumpflege anfangen, weil sie diesbezüglich eigene Erfahrungen gemacht hat. Wenn ich mich also als Geschäftsführerin eines Reinigungsunternehmens vorstelle, das sich für faire Bedingungen und umweltneutrales Handeln einsetzt, gibt es immer ein sehr positives Feedback. Die Rolle einer Reinigungskraft einzunehmen, war etwas ganz anderes. Obwohl ich als Gründerin mit der Mission an die Sache herangegangen bin, wieder mehr Wertschätzung für diesen – gerade im Zuge der Pandemie – systemkritischen Bereich zu schaffen, musste ich bei der Arbeit feststellen, dass es viele Vorurteile gibt, die ich auch selbst in mir trage. Von anderen als Reinigungskraft wahrgenommen und zum Beispiel beim Putzen des WCs gesehen zu werden, war zu Beginn nicht einfach, aber extrem wichtig für mich. Und es hat nicht lange gedauert, bis ich mich dessen annehmen konnte, für was wir auch als Unternehmen Klara Grün stehen wollen – den Leuten positiv und selbstbewusst gegenüber zu treten.

 

Wie hat sich die Arbeit auf dein eigenes Verhalten gegenüber Reinigungskräften ausgewirkt, denen du im öffentlichen Raum begegnest?

JS: Wenn ich eine Reinigungskraft bei der Arbeit treffe, achte ich viel mehr als zuvor darauf, Augenkontakt zu halten – und ich grüße. Der erste Reflex, wenn man jemandem auf einer öffentlichen Toilette beim Putzen antrifft, ist für viele, sich umzudrehen und wieder zu verschwinden: Es ist auf dem ersten Blick ein peinlicher Moment. Gerade deshalb glaube ich, dass eine Konfrontation im positiven Sinne sehr wichtig ist – genau wie sich bewusst zu machen, dass hier gerade ein Handwerker seinen Job macht wie jeder andere auch. Außerdem gibt es da noch die fachliche Ebene: Ich schaue natürlich, wie die Person putzt, was für Bewegungen sie macht und was für Mittel sie dafür verwendet.

 

Das Thema Nachhaltigkeit hat mittlerweile in beinahe jeden Lebensbereich Einzug gehalten. Ein Freund hat mir letztens von einem Kinobesuch berichtet: In jedem Werbespot vor dem Film wurde mit Nachhaltigkeit geworben – von großen Autokonzernen bis zu Klamottenlabels. Was bedeutet “nachhaltige Unternehmensführung” für dich?

JS: Das ist tatsächlich die übergreifende Frage, der wir uns immer wieder von Neuem stellen. Die Perspektive darauf verändert sich natürlich auch, je größer unser Unternehmen wird. Nachhaltigkeit steht aber letztendlich in jedem Bereich, den wir mit Klara Grün gestalten wollen, an oberster Stelle: Das fängt mit unseren Unternehmenszielen an, bei denen es nicht primär um Umsatz oder eine bestimmte Wachstumsrate geht, sondern darum, sich nachhaltig zu entwickeln. Für uns als Dienstleister bedeutet das konkret, dass die Anzahl an Kunden immer im gesunden Verhältnis zur Anzahl unserer Mitarbeitenden stehen muss. So können wir besser sicherstellen, dass unser Team nicht überlastet wird und das Arbeitspensum dauerhaft gesund bleibt. Außerdem setzen wir auf langfristige Kundenbeziehungen – wir stecken beispielsweise keinen einzigen Euro ins Marketing. Bis jetzt kamen die Anfangen immer von allein, weil in diesem Bereich nicht erst seit diesem Jahr ein großer Bedarf besteht. Also investieren wir diese Zeit in die direkte Kommunikation mit unseren Kunden, damit diese am Ende des Jahres ihre Verträge verlängern.

 

Wie sieht ein ganz normaler Job für Klara Grün aus?

JS: Vor der ersten Reinigung werden sowohl bei Gewerbe- als auch Privatkunden Objektbegehungen durchgeführt. Für uns ist das extrem wichtig, weil wir so die Geschichte von Klara Grün erzählen und das Thema Nachhaltigkeit in den Lebensraum anderer bringen können. Auch wenn es am Ende nicht zu einem Vertragsabschluss kommt, ist der Besuch eine Gelegenheit für uns, nachhaltiges Handeln gerade jenen näher zu bringen, die sich bisher noch nicht explizit damit befasst haben. Es wenden sich immer wieder Kunden an uns, weil sie negative Erfahrungen mit anderen Unternehmen gemacht haben und nicht in erster Linie, weil sie umweltbewusster agieren wollen. Aufgrund der Tatsache, dass wir unsere Mitarbeitenden fair behandeln und bezahlen, erwarten sie mehr Zuverlässigkeit und höhere Qualitätsstandards. Wir geben beispielsweise auch die Rezepte für alle Reiniger raus, die wir verwenden und verkaufen.

 

Per E-Roller, Rad oder mit den Öffis fahre ich dann quer durch die Stadt zum jeweiligen Kunden und verbringe dort eine bis eineinhalb Stunden in den zu reinigenden Räumlichkeiten. Ich stelle dabei viele Fragen und mache Vorschläge, um herauszufinden, wie wir mit Klara Grün am besten unterstützen können. Danach geht’s zurück ins Büro, wo ein individueller Leistungskatalog und ein Angebot erstellt werden – unsere sogenannte Checkliste. Dann planen meine Kolleginnen Luise und Alex die jeweiligen Teams und Schichten ein. Zum ersten Termin bringen wir unsere ganzen Reinigungsmittel mit, bestellen gegebenenfalls zusätzliches Equipment wie Staubsauger und dann kann es losgehen. Die Checkliste funktioniert für das jeweilige Team wie ein Briefing. Trotzdem gehen wir beim ersten Termin noch einmal gemeinsam durch die Räume, sodass niemand beim ersten Einsatz ins kalte Wasser geworfen wird.

 

Bist du 24/7 Geschäftsführerin?

JS: Auch hier ist es für uns wichtig, nachhaltig zu sein. Zu Beginn haben Luise und ich uns tief in die Augen geschaut: Wir haben für uns beschlossen, dass der Beruf der Reinigungskraft nur dann gesünder werden kann, wenn auch für uns als Gründerinnen und Chefinnen der Arbeitsalltag gesund ist. Ein Punkt in unseren eigenen Verträgen ist deshalb der 6-Stunden-Tag – natürlich ein illusorisches Ziel, auf das wir aber immer hinarbeiten und das wir nicht aus den Augen verlieren. Es scheint dieses Dogma unter Gründerinnen und Gründern zu bestehen, dass man in den ersten zwei Jahren mindestens 60-Stunden-Wochen leisten muss und das auch noch cool finden muss. Aber das ist es einfach nicht. Die Leidenschaft für eine Sache – und die habe ich für Klara Grün – kann man nicht an der Anzahl der Stunden ablesen, die man jede Woche dafür arbeitet. Nur so können wir auch für unsere Angestellten dauerhaft ein gesundes Arbeitsumfeld gewährleisten.

 

Ihr schwört auf Zitronensäure: Was ist dein ultimativer Putztipp?

JS: Zitronensäure ist unser bester Freund und viel schonender für Oberflächen als Schrubben. Für einen verkalkten Wasserhahn tränkt man beispielsweise ein Tuch mit flüssiger Zitronensäure, legt es um die Armatur herum und lässt es einweichen. Des Weiteren verwenden wir Edelstahlschwämme und Schwämme aus Kupfer, um auch hartnäckige Kalkverschmutzungen auf Oberflächen mühelos entfernen zu können. Wer mehr zum Thema Reinigung herausfinden will, sollte sich auf Luises Instagramprofil umsehen. Sie berichtet aus ihrem Putzalltag mit zwei kleinen Kindern, verrät Tricks und teilt ihre eigenen Erfahrungen.

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